Eine Erzhlung von Finn-Ole Heinrich 11FREUNDE

November 2024 · 16 minute read

»Dixi!«, kommt von beiden Seiten stereo. Sie lachen. »Du bist dran!« Bier holen, meinen die beiden. Sind schon rand­voll. Die meinen es ernst. Dixi. Soll mein neuer Spitz­name sein, haben sie vorhin gemeinsam beschlossen. Finden sie witzig. Ich mach mich auf den Weg. Ich bin wirk­lich dran. Hätt ich ihnen nicht erzählen sollen vorhin, hätt ich wenigs­tens noch mit warten sollen bis morgen, bis nach den Kopf­schmerzen. Ich hab auch mal stu­diert, Geschichte und Sport auf Lehramt, hab aber gleich wieder auf­ge­hört, dann hab ich doch wieder ange­fangen, Tech­ni­sche Infor­matik, aber auch nur ein Semester. Dann nichts und jetzt als Bau­helfer, Jahre schon. Das ist ein guter Job, ein­fach und klar, schwer und schön. Nur die scheiß Dixis, die gehen gar nicht. Im Sommer die Hitze, die Fliegen, der kleb­rige Boden, der Gestank, Ammo­niak, dass einem die Tränen kommen. Im Winter eis­kalt, es zieht durch die Ritzen. Überall Scham­haare und Popel an den Wänden, so kann man doch nicht scheißen. Die Brand­lö­cher im Plastik, die Krit­ze­leien, Stift hab keine Bange, der Meister scheißt genauso lange. Inzwi­schen träume ich davon. Vom Scheißen in der Plas­tik­hütte.

Und das hätt ich nicht erzählen dürfen. Nicht sams­tags und nicht vorm Fuß­ball. Sind fast umge­fallen vor Lachen. Dixi hier, Dixi da, hahaha. Ich kauf drei Bier in Plas­tik­be­chern und steh gar nicht lange an dafür. Gleich geht das Spiel los. Wir stehen bei den Ultras. Die wollen heut auf Beu­tezug, haben wir gehört, die Frank­furter Zaun­fahne klauen. Wir wollen nicht klauen, wir wollen hauen: Dixi, Bonobo und Herr Kap­pel­mann. Wir sind keine Ultras. Wir sind Hools.

Ich bin eigent­lich anders als Bonobo und Kap­pel­mann, die sind Edel­hools mit Armani-Anzug, Lacoste und Carlo Colucci. Mein Hei­ligtum ist mein Cap, ne echte Bur­berry, ne Ikone, legendär, wird gar nicht mehr her­ge­stellt. Sonst Jeans, sonst Bier, sonst Col­lege-Jacke. Ich bin gegen schlaue Sprüche, ich bin Bau­helfer, das reicht mir, Bücher sind mir zu tot, Frauen zu anstren­gend, Ziele zu ent­täu­schend. Ich guck, was kommt, ich mach, was geht, die Jungs halten mich für den nach­denk­li­chen Typen, weil ich nicht viel rede, für den kon­se­quenten, weil ich mich nie auf irgend­welche Frauen oder Jobs ein­ge­lassen hab, weil ich nicht um sieben zum Abend­essen erwartet werde. Sie lachen über mich, aber sie bewun­dern mich. Wir drei sind alte Kum­pels und sams­tags sind wirs immer noch. Bonobo, der Yuppie, und Kap­pel­mann, der Frei­zeit­psycho. Wenn man sie an einem Montag oder Dienstag sieht, würde man ihnen nichts von ihrem Sams­tags­da­sein zutrauen, nie­mals. Mir nimmt man das ab, ich seh schon so aus, ich hab nicht nur am Wochen­ende eine Glatze, hab mich bis zum Hals täto­wieren lassen und meine Nase ist klein und in den Schädel geprü­gelt. Kann sein, dass ich häss­lich bin, ich inter­es­sier mich nicht für Spiegel.

Ich seh die beiden vorne in der zweiten Reihe stehen und schwanken, haben sich umarmt und grölen irgendwas, das sie selbst nicht richtig ver­stehen. So dumm können sie sich saufen. Ich komm ihnen ent­gegen, Plas­tik­biere in den Händen, Ell­bogen raus und durch die anderen Bekloppten. Gar nicht ein­fach, das Bier zu balan­cieren, bei den Massen von Men­schen hier. Bin nur noch ein paar Meter von ihnen ent­fernt, gröle »Oi«, sie sehen mich und drehen sich und schreien »Dixi, Bier her!«, lachen ihr Idio­ten­la­chen. Da dreht sich die arme Sau neben mir, stößt mich an und ich ver­schütte Bier. Jetzt kriegt er auf die Fresse, so sind die Regeln. Wir sind hier nicht im Gerichts­saal, so ist Steh­platz, kann man nicht ändern. Der Kleine sieht nicht aus, als ob er her­ge­kommen wär, um Fäuste zu fut­tern, der hat nicht mal nen Schal, ist wahr­schein­lich nur mit­ge­kommen.

Herr Kap­pel­mann zögert aber nicht, rammt ihm sein kno­chiges Knie in die Eier und gießt ihm sein ganzes Plas­tik­bier in den Nacken. »Bier­ver­schütter, Mut­ter­fi­cker«, sagt er und er geht mir mit dem Scheiß echt auf die Nerven, gleich will er wieder bei uns mittrinken. Ständig ver­schüttet er sein Bier und wun­dert sich dann, wo es denn hin ist und will nur mal nippen und säuft einem den halben Becher aus. Herr Kap­pel­mann, Perü­cken­träger, Ästhet der Gewalt, Rechts­an­walt und Hoo­ligan. »Geht schon«, sagt er immer.

Sams­tag­morgen, wenn wir uns sehen, immer seine ersten Worte: »Geht schon, geht schon.« Das bellt er den ganzen Tag, egal ob es passt oder nicht. Sams­tags treffen wir uns immer bei mir, da besu­chen die beiden die Arbei­ter­klasse. Da setzt der Herr Kap­pel­mann seine Gold­löck­chen­pe­rücke, die so viel kostet wie ein Klein­wagen, gar nicht erst auf, da isst er kein Früh­stücks­müsli, trinkt keinen frisch gepressten Oran­gen­saft, schüt­telt nicht den ganzen Tag Hände und liest Para­grafen. Sams­tags früh­stückt Herr Kap­pel­mann zwei halbe Liter und besucht seinen alten Kumpel Röber. Dann laute Musik und Pogo und Suff, einmal ist der Opa von unter mir hoch­ge­kommen, wollte sich beschweren. Der ist nur einmal gekommen. Wir machen uns warm, Deh­nungs­übungen für gleich, fürs Kör­per­schach.

»Ey, Dixi«, Bonobo haut mir auf die Schulter, ich ver­schütte wieder ein biss­chen Bier. Bonobo kriegt nicht auf die Fresse.
So sind die Regeln auch. »Ey, Dixi«, Bonobo muss lachen und kann eh nicht mehr richtig gera­deaus reden, »wir haben uns was über­legt für dich, the­ra­peu­ti­scher Ansatz für dein Scheiß­pro­blem. Wie du deine Dixi-Träume wieder aus dem Kopf kriegst.« Bonobo heißt von Sonntag bis Freitag Chris­tian Weber, leitet ein Möbel­haus mit fünf­und­zwanzig Ange­stellten. Und zweimal im Jahr orga­ni­siert er einen Free-Jazz-Abend in einer Musik­kneipe, seine Freundin nennt ihn Reh­lein. Er steht vor mir und findet sich witzig: »Ey, Dixi, den Typen, den wir nachher klat­schen, den darfste in nem Dixi ver­senken.« Soll ich jetzt Danke sagen für so viel Anteil­nahme? Ich stell mir Bonobo mit Brille vor und wie er Arbeits­pläne macht und jungen Plat­ten­bau­paaren Span­holz­wohn­zim­mer­gar­ni­turen ver­kauft. Viel­leicht schon in zwei Wochen dem Bier­ver­schütter eine Ein­bau­küche für seine erste eigene Woh­nung.

Anpfiff. Von hier kann man eh kaum was erkennen. Wir haben Anstoß, Renner ver­letzt, Gonzo gut drauf die letzten Spiele, ich wette eh nicht mehr, dann wird das Spiel zu wichtig und ich kann mich nicht aufs Wesent­liche kon­zen­trieren. Herr Kap­pel­mann reibt sich nervös die Wochen­end­glatze, ver­sucht, doch was zu erkennen auf dem Spiel­feld und von der Seite sagt Bonobo leise in mein Ohr: »Ey, Röber, ich muss dir nachher mal was erzählen.« Ich warte einen Augen­blick, ob das schon wieder ein Witz sein soll, aber Bonobo lacht nicht und dann fällt mir auf, dass er mich ja bei meinem rich­tigen Namen genannt hat. Ich guck ihn an und sag: »Halb­zeit.« Und er nickt. Ich ahne, worum es geht. Seine Freundin, die er Bern­stein nennt und über die er sams­tags lacht – dicker, brauner Klumpen mit Insekten drin – die nervt ihn ganz schön, seit sie zusammen wohnen, unge­fähr seit Mitte Mai, seit drei­ein­halb Monaten. Vorher fand er sie ziem­lich gut. Jetzt wohnt er mit ihr, zwi­schen Möbeln, die er bisher an andere ver­kauft hat. Jetzt ist er ange­kommen, wo er eigent­lich gar nicht hin wollte und haut des­halb sams­tags härter zu. Aber irgend­wann will er dann immer reden. Immer sams­tags.

»Geht schon«, sag ich.
»Was geht schon?«, fragt Herr Kap­pel­mann und dreht sich zu uns um. Das ist sein Spruch. Kap­pel­mann grinst und haut dem alten Mann vor uns mit der Faust auf den Kopf. Ein­fach so. So sind die Regeln auch: Kap­pel­mann darf das, Kap­pel­mann ist ein Schrank und seine Glatze macht ver­dammt noch mal Ein­druck. Der alte Mann traut sich nicht mal, sich umzu­drehen, geht ohne ein Wort aus der Reihe und ver­schwindet. Ich denke Idiot und meine den alten Typen. Ich wollte wenigs­tens sein Gesicht sehen. Noch null zu null, die Penner aus Frank­furt haben Ein­wurf. Nicht viel pas­siert bisher und nur noch fünf­zehn Minuten zu spielen in der ersten Hälfte.

In der Pause geht Kap­pel­mann Bier holen, das ist meis­tens witzig und geht schnell, des­halb würd ich eigent­lich gern mit­kommen, aber ich muss hier­bleiben bei Bonobo, weil der ja unbe­dingt mit mir reden will. Kap­pel­mann schubst sich den Weg frei und grölt. Ab und zu grüßt ihn einer und Kap­pel­mann grunzt zurück. Ich glaub nicht, dass ihn einer mag, mit ihm will nur keiner Streit, denn Herr Kap­pel­mann ist sams­tags echt ein Tier. Dem ist sams­tags die ganze Welt egal. Geht schon. Der hat keine Angst, dass ihm einer das Joch­bein bricht oder seine Zähne zer­schlägt oder ein Messer in den Bauch steckt. Der ist voll und weg, Herr Kap­pel­mann hat keine Hemm­schwelle. Montag bis Freitag Rechts­an­walt, Fach­ge­biet Wirt­schafts­recht. Sams­tags Voll­idiot, Tier und keine Angst, dass er irgend­wann im Knast landet, weil er einen mal aus Ver­sehen richtig kaputt macht. Vier Nasen hat er schon gebro­chen in diesem Jahr. »Knack macht das«, sagt er und lacht. Findet er gut, find ich auch gut. Knack, witzig und absurd. So ne Type, dieser Herr Kap­pel­mann, der redet nicht viel, der haut Nasen kaputt und alten Män­nern mit der Faust auf den Kopf.

Was Kap­pel­mann sonn­tags macht, weiß ich nicht, obwohl ich ihn ja kenne, seit wir sieb­zehn sind. Bonobo auch, der jetzt tat­säch­lich von seiner Freundin redet. Ich hör gar nicht richtig zu, bis er seine Hand auf meine Schulter legt. Er hat allen Ernstes Tränen in den Augen. »Ey, Röber, Mann, dir kann ichs ja sagen: Ich hab richtig Schiss.« Wenn Bonobo so drauf ist, geht er mir richtig auf die Eier. Ich bin kein Brief­kas­ten­onkel, nur weil ich noch nicht mit den Zähnen knir­sche. Mir kann ers ja sagen, was soll das heißen, bitte? Ich guck ihn an, keine Ahnung mit was für nem Blick.
»Anna ist schwanger«, ruft er in mein Ohr und ich sage:
»Häh?!«
Bonobo nickt.
»Echt«, brüllt er, es ist scheiß­laut in der Kurve, »is so
weit.«

Wie­der­an­pfiff, geht gleich richtig gut los. Gonzo mit dem öff­nenden Pass, schnell geschaltet, geht zack, zack. »Bonobo«, sag ich, »wenns ein Junge wird, dann machen wir nen rich­tigen Pri­maten aus ihm. Dem ver­mach ich mein Cap. Und wenns ein Mäd­chen wird …« Ich zuck die Schul­tern, dreh mich um, ja, was, wenns ein Mäd­chen wird? Robbel vorbei an zwei und quer auf diesen jungen Fran­zosen, den sie da vor der Saison geholt haben, Büschohn oder wie der heißt, aber der macht sich Knoten in die Beine, der Frosch­fresser, und ver­liert den Ball. Konter für die Frank­furter. »Dann behalt ich mein Cap, auch kein Drama«, sag ich und Rein­hart, der hatte echt mal gute Tage, aber inzwi­schen ist er ein­fach zu alt und wir haben aber trotzdem keinen bes­seren, steht viel zu weit vor dem Tor und so eine Fran­ken­fotze zieht ein­fach ab und trifft. Wie der sich freut! Rennt Rich­tung Eck­fahne und wirft sich mit der Brust auf den Boden, rutscht in die Kurve.

Wir pfeifen und brüllen was wir können und schubsen die Leute, ich tret den Vater von dem kleinen Jungen vor mir, der fällt eine Reihe nach vorn, in eine Gruppe Stu­denten, von denen hauts auch noch einen um, Domino-Day. Der Junge glotzt mich an, hat Schiss und ne Brille, kein Primat. »Guck weg, du Honk«, sage ich. Null eins hinten, Scheiße natür­lich, aber immerhin Leben in der Bude. Plötz­lich ist Kap­pel­mann wieder da und schreit genau in mein Ohr: »Was spielt der Rein­hart über­haupt, dem sollten sie den Gna­den­schuss geben, dem Krüppel, wel­cher Idiot stellt den auf?« Jetzt fiept mein linkes Ohr und mein rechtes ist ein biss­chen schwanger.

Trainer wech­selt einen Ama­teur ein, den ich nicht kenne, nie gehört, aber der ist schwarz und wir haben Hoff­nung, das sind ja manchmal echte Wun­der­neger, Roh­dia­manten. Viel­leicht haben wir ja auch mal Glück im Kolo­ni­al­fuß­ball­lotto. Sieb­zigste Minute oder so, also fängt Kap­pel­mann langsam an, sich einen raus­zu­su­chen. Bonobo hat sich wieder gefangen oder tut so und hält uns die Pillen hin, wir nehmen sie und wissen, wie die uns gleich abschießen werden: »Gleich klat­schen, Dixi.«
Und Kap­pel­mann brüllt: »Oi, Oi, Oi«, wie ein Idiot, »Oi,
Oi, Oi.«
 
Er ist schon wieder in Schlacht­ruf­laune. Das ist immer so ab der Sieb­zigsten. Ich hab die Regeln nicht gemacht. Kap­pel­mann stupst zwei Reihen vor uns einen an, fast zärt­lich, der hat schwarze kurze Haare, ath­le­ti­scher Typ, garan­tiert Russe. Fair Play, denke ich. Kap­pel­mann guckt ihn lange an und der Russe ihn. Dann sagt Kap­pel­mann: »Ey, deine Mutter kenn ich, die steht doch immer vorm Bahnhof und lässt sich für zehn Cent anpissen.«

Char­mant, dieser Kap­pel­mann. Der Russe dreht sich um, hat wohl keinen Bock, sich zu hauen. »Die bellt, wenns klin­gelt«, schreit Kap­pel­mann, aber der Russe glotzt stur Rich­tung Spiel­feld, dann schreit er was. Gibt näm­lich Elf­meter für Frank­furt, ich hab nicht gesehen warum, aber Kap­pel­mann nutzt die Unruhe und das Geschrei, um dem Russen eine an den Kopf zu geben, der geht ihm blitz­schnell an die Gurgel und das macht Kap­pel­mann an, das seh ich in seinen Augen, wie in ihm plötz­lich alle zivi­li­sa­to­ri­schen Lichter aus­gehen. Der ist schon richtig drauf, total nervös und viel zu schnell in seinen Bewe­gungen. Er schlägt ihm den Arm weg und schreit oder lacht, es ist ein merk­wür­diges Geräusch und sein Kiefer ist ganz ver­kantet, am Hals ist jede Sehne, jede Ader ganz genau zu sehen.

»Ich mach dich kaputt, gleich nach dem Spiel mach ich dich kaputt«, grunzt Kap­pel­mann eher zu sich als zum Russen, der sich ein­fach wieder umge­dreht hat und paar Schritte rüber zum Zaun ist. Kap­pel­mann kann sich grad noch halten, damit es keinen Ärger mit den Ord­nern gibt. Eine Anzeige wär scheiße für den Anwalt. Zwei zu null für die bekloppten Frank­furter. Mir total egal.

Kap­pel­mann nimmt sich mein Plas­tik­bier und trinkt es aus, er zit­tert wie kurz vorm Abspritzen, der ist auf hun­dert­achtzig und geil. Es ist Samstag. Neunzig Minuten rum, vier Minuten Nach­spiel­zeit. Wir gehen schon zum Aus­gang und warten auf den Russen. Im Los­gehen tritt Kap­pel­mann ihm über die Sitz­reihen hinweg schon mal in den Rücken, schreit »Kin­der­fi­cker« und zeigt ihm die Zähne. Der Russe guckt fies, plus­tert biss­chen, aber mehr traut er sich nicht, das sieht man schon, dass er weiß, was gleich pas­siert, da leuchtet schon die Angst im Blick, das seh ich jeden Samstag, da hab ich ein Auge für. Hält sich auf­recht, der Russe, aber gleich wird er zer­legt.

Abpfiff, Ran­dale, Gegröle, ich merke, wie ich zap­pelig werde, alles wie vor­ge­spult, viel schneller, sams­tags nach Abpfiff, da heulen Frauen und Fans, tut alles weniger weh, fliegen Fla­schen, treffen Fäuste, bre­chen Kno­chen. »Dixi«, schreit Bonobo und zieht mich zu sich, »da drüben isser.« Kap­pel­mann hat ihn im Blick, jetzt folgen wir dem Russen. Scheiße, denk ich, der hat ja die Freundin dabei. Das ist schlecht. Wenn du auf Zer­stören bist, im Kriegs­modus, stört nichts so wie eine Frau, die schreit und weint und Sorgen hat. Du bist so in dir, du denkst nichts, du suchst die Lücke und wenn du treffen kannst, dann triffst du, Faust auf den Schädel, zwei Schläge
die Sekunde, kine­ti­sche Medi­ta­tion, sagt Kap­pel­mann. Eine Frau ist die andere Welt, die kein Mensch will am Samstag. Später stehen wir vor dem Gebüsch und halten die Rus­sen­freundin fest, damit sie sich nicht ein­mischt, damit Kap­pel­mann sie nicht aus Ver­sehen kaputt macht, wenn sie dazwi­schen­geht. Die wär so eine, dünn und hys­te­risch, die würde dazwi­schen­springen und kratzen und beißen und mit ihren spitzen Nut­ten­schuhen zutreten. Und Kap­pel­mann würde sie weg­wi­schen wie eine Mücke, um nicht gestört zu werden. Sie ver­steht nicht, was wir tun, worum es geht. Gewalt, Ästhetik, Klar­heit. Es ist ein­fach so, einen sucht man sich raus und der muss mit­ma­chen, ich hab die Regeln nicht gemacht.

Die Kleine schreit, nur paar Meter vor uns schlägt Kap­pel­mann auf den Russen ein, der Russe tritt und spuckt. Ein zäher Russe. Kap­pel­mann blutet an der Lippe, er grinst mit roten Zähnen, aber er lacht nur und springt in den Russen rein, als wär er eine Abriss­glocke, er hat ihn am Arsch, der Russe hat Panik, das les ich in seinen Bewe­gungen, der ver­sucht nur, das Schlimmste zu ver­hin­dern. Kap­pel­mann immer rauf, aber der Russe schreit nicht. Ein stummer Russe, nur das leise Klat­schen oder ein Uff.

Kap­pel­mann ist kein Ehren­mann, nicht mit Pille im Kopf, da hört er nicht auf, wenn einer liegt. Wir schieben die Rus­sen­freundin durch die brül­lenden Ultras hinter den Busch. Sehen kann man nichts mehr, aber weil wir gleich neben­an­stehen, hören wir die Geräu­sche von Schlägen, von Tritten, die landen, die treffen, die ver­dammt noch mal wehtun. Ich kann ver­stehen, dass sie rum­kreischt. Aber ich kann nicht ver­stehen, dass Bonobo guckt wie ein Cocker­spa­niel. Der geht mir heute echt auf die Nerven.

»Röber«, sagt er und ich hör ihn kaum, weil die Kleine wirk­lich durch­dreht und tie­risch laut ist und ich mich sowieso lieber auf den Sound der Schläge kon­zen­triere. »Röber, Alter, ich glaub, ich bin ver­liebt.«

Ich kanns nicht fassen. Ein paar Meter weiter ist einer dabei zu gewinnen, ich hörs jetzt: Die dumpfen Schläge werden regel­mä­ßiger. Jetzt geht es um Wunden. »Na prima«, sag ich, »passt doch. Haus bauen, Baum pflanzen, Familie gründen. Bonobo in love. Reh­lein und Bern­stein.« Er sieht mich an, er schüt­telt den Kopf, die Nata­scha ruft um Hilfe.

»Nee, Röber, das isses ja. In ne andere! Kol­legin, ne neue. Eine ganz Süße, erst neun­zehn, ganz ne Liebe ist das, zart wie ne Knospe. Ich glaub, ich will das nicht mehr, mit … dem Bern­stein, weißt du, Röber, das ist ein beschis­senes Gefühl. Aber ich kann das nicht: Vater sein, alt werden mit dieser Frau. Ich wollte mich ver­lieben, das war vor­sätz­lich. Wollte wer Neues sein! Ver­stehste? Ein­fach alles anders sagen und machen und sie glaubts dir, kennt dich ja nicht, muss sie ja.« »Alter, Bonobo, was laberst du?« »Scheiße, Röber, ich dachte, du ver­stehst mich. Du bist doch auch so. So … frei.«

Die Russin beißt Bonobo in die Hand. Der schreit und lässt sie los und hält sich die Hand wie ein Mäd­chen. Die Tat­jana reißt sich auch von mir los und gräbt sich durch das Gebüsch. Und genau in diesem Augen­blick kommt Kap­pel­mann mit Blut an der Faust und im Gesicht außen um das Gebüsch rum auf uns zuge­laufen. Er hält die Linke hoch, alle fünf Finger gespreizt. Fünfte Nase, gewonnen. Keine Ahnung, obs sein Blut ist oder Rus­sen­blut in seinem Gesicht. Er lacht. »Und?«, sag ich. Und Kap­pel­mann sagt: »Geht schon. Fertig. Was läuft der auch mit nem roten Pulli in unserm Block rum.« Ich hör das Gewimmer der Kleinen. Bonobo grölt: »Ey, los, Dixi, Alter, jetzt ver­senkst du den beschis­senen Frank­furter noch im Dixi.«

Und er krümmt sich schon wieder vor Lachen. Ist aber ge- stellt, das merk ich sogar mit den ganzen Drogen im Kopf. »Oi, Oi, Oi.« Jetzt auch noch Kap­pel­mann, der mich in den Arm nimmt und mich voll­schmiert. Kap­pel­mann in seinem braunen Armani-Anzug mit dem ganzen Blut, fri­sches und altes und sehr altes aus min­des­tens zwei Jahren, so lange hat er den Anzug jeden Samstag an. Scheiß­egal. Stört mich nicht, macht mir nichts. Wer die ganze Woche auf Dixis kacken muss, den ekelt nichts mehr.
»Ey, Kap­pel­mann, was machst du eigent­lich sonn­tags?«, frage ich. Er bleibt stehen wie ange­wur­zelt und guckt. Guckt so starr und fest in mein Gesicht, als wär ich ein bekloppter Frank­furter. »Dixi, Alter«, sagt er, »morgen, da ent­führen wir den Rein­hart und erschießen ihn. Not­schlach­tung. Geht nicht an, dass die ver­schis­senen Frank­furter hier gewinnen.«

Bonobo tritt mir leicht in den Arsch und Kap­pel­mann haut mir auf die Schulter. »Los jetzt!«, kreischt Bonobo, »ver­senkst den jetzt. Kon­fron­ta­ti­ons­the­rapie!« Sie schubsen mich durch den Busch und zu dem Rus­sen­pär­chen. Sie hockt neben ihm und hält seinen blu­tenden Kopf. Zwei Minuten nicht gepols­terte Fäuste hin­ter­lassen häss­liche Spuren. »Dixi, Dixi!«, johlen die zwei. Sie lachen wie blöde, der Russe stöhnt, die Svet­lana weint in ein Handy. Ich denke an Cat­chen und Free Fight, an den Finis­hing Move, aber eigent­lich will ich einen Gegner und kein Opfer. Ich dreh mich um zu Bonobo und sage leise: »Geht schon.«
Dann springe ich ab und liege in der Luft.


Finn-Ole Hein­rich, geboren 1982 in Cux­haven, Film­stu­dium in Han­nover, dann Stadt­schreiber in Erfurt. Lebt jetzt in Ham­burg. 2005 erschien sein Erzähl­band »die taschen voll wasser«, 2007 der Roman »Räu­ber­hände«.
»Sams­tags« ist ent­halten in dem Erzähl­band »Ges­tern war auch schon ein Tag« (Mai­risch Verlag). 

Verlag: Mai­risch
Autor: Finn-Ole Hein­rich
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