»Dixi!«, kommt von beiden Seiten stereo. Sie lachen. »Du bist dran!« Bier holen, meinen die beiden. Sind schon randvoll. Die meinen es ernst. Dixi. Soll mein neuer Spitzname sein, haben sie vorhin gemeinsam beschlossen. Finden sie witzig. Ich mach mich auf den Weg. Ich bin wirklich dran. Hätt ich ihnen nicht erzählen sollen vorhin, hätt ich wenigstens noch mit warten sollen bis morgen, bis nach den Kopfschmerzen. Ich hab auch mal studiert, Geschichte und Sport auf Lehramt, hab aber gleich wieder aufgehört, dann hab ich doch wieder angefangen, Technische Informatik, aber auch nur ein Semester. Dann nichts und jetzt als Bauhelfer, Jahre schon. Das ist ein guter Job, einfach und klar, schwer und schön. Nur die scheiß Dixis, die gehen gar nicht. Im Sommer die Hitze, die Fliegen, der klebrige Boden, der Gestank, Ammoniak, dass einem die Tränen kommen. Im Winter eiskalt, es zieht durch die Ritzen. Überall Schamhaare und Popel an den Wänden, so kann man doch nicht scheißen. Die Brandlöcher im Plastik, die Kritzeleien, Stift hab keine Bange, der Meister scheißt genauso lange. Inzwischen träume ich davon. Vom Scheißen in der Plastikhütte.
Und das hätt ich nicht erzählen dürfen. Nicht samstags und nicht vorm Fußball. Sind fast umgefallen vor Lachen. Dixi hier, Dixi da, hahaha. Ich kauf drei Bier in Plastikbechern und steh gar nicht lange an dafür. Gleich geht das Spiel los. Wir stehen bei den Ultras. Die wollen heut auf Beutezug, haben wir gehört, die Frankfurter Zaunfahne klauen. Wir wollen nicht klauen, wir wollen hauen: Dixi, Bonobo und Herr Kappelmann. Wir sind keine Ultras. Wir sind Hools.
Ich bin eigentlich anders als Bonobo und Kappelmann, die sind Edelhools mit Armani-Anzug, Lacoste und Carlo Colucci. Mein Heiligtum ist mein Cap, ne echte Burberry, ne Ikone, legendär, wird gar nicht mehr hergestellt. Sonst Jeans, sonst Bier, sonst College-Jacke. Ich bin gegen schlaue Sprüche, ich bin Bauhelfer, das reicht mir, Bücher sind mir zu tot, Frauen zu anstrengend, Ziele zu enttäuschend. Ich guck, was kommt, ich mach, was geht, die Jungs halten mich für den nachdenklichen Typen, weil ich nicht viel rede, für den konsequenten, weil ich mich nie auf irgendwelche Frauen oder Jobs eingelassen hab, weil ich nicht um sieben zum Abendessen erwartet werde. Sie lachen über mich, aber sie bewundern mich. Wir drei sind alte Kumpels und samstags sind wirs immer noch. Bonobo, der Yuppie, und Kappelmann, der Freizeitpsycho. Wenn man sie an einem Montag oder Dienstag sieht, würde man ihnen nichts von ihrem Samstagsdasein zutrauen, niemals. Mir nimmt man das ab, ich seh schon so aus, ich hab nicht nur am Wochenende eine Glatze, hab mich bis zum Hals tätowieren lassen und meine Nase ist klein und in den Schädel geprügelt. Kann sein, dass ich hässlich bin, ich interessier mich nicht für Spiegel.
Ich seh die beiden vorne in der zweiten Reihe stehen und schwanken, haben sich umarmt und grölen irgendwas, das sie selbst nicht richtig verstehen. So dumm können sie sich saufen. Ich komm ihnen entgegen, Plastikbiere in den Händen, Ellbogen raus und durch die anderen Bekloppten. Gar nicht einfach, das Bier zu balancieren, bei den Massen von Menschen hier. Bin nur noch ein paar Meter von ihnen entfernt, gröle »Oi«, sie sehen mich und drehen sich und schreien »Dixi, Bier her!«, lachen ihr Idiotenlachen. Da dreht sich die arme Sau neben mir, stößt mich an und ich verschütte Bier. Jetzt kriegt er auf die Fresse, so sind die Regeln. Wir sind hier nicht im Gerichtssaal, so ist Stehplatz, kann man nicht ändern. Der Kleine sieht nicht aus, als ob er hergekommen wär, um Fäuste zu futtern, der hat nicht mal nen Schal, ist wahrscheinlich nur mitgekommen.
Herr Kappelmann zögert aber nicht, rammt ihm sein knochiges Knie in die Eier und gießt ihm sein ganzes Plastikbier in den Nacken. »Bierverschütter, Mutterficker«, sagt er und er geht mir mit dem Scheiß echt auf die Nerven, gleich will er wieder bei uns mittrinken. Ständig verschüttet er sein Bier und wundert sich dann, wo es denn hin ist und will nur mal nippen und säuft einem den halben Becher aus. Herr Kappelmann, Perückenträger, Ästhet der Gewalt, Rechtsanwalt und Hooligan. »Geht schon«, sagt er immer.
Samstagmorgen, wenn wir uns sehen, immer seine ersten Worte: »Geht schon, geht schon.« Das bellt er den ganzen Tag, egal ob es passt oder nicht. Samstags treffen wir uns immer bei mir, da besuchen die beiden die Arbeiterklasse. Da setzt der Herr Kappelmann seine Goldlöckchenperücke, die so viel kostet wie ein Kleinwagen, gar nicht erst auf, da isst er kein Frühstücksmüsli, trinkt keinen frisch gepressten Orangensaft, schüttelt nicht den ganzen Tag Hände und liest Paragrafen. Samstags frühstückt Herr Kappelmann zwei halbe Liter und besucht seinen alten Kumpel Röber. Dann laute Musik und Pogo und Suff, einmal ist der Opa von unter mir hochgekommen, wollte sich beschweren. Der ist nur einmal gekommen. Wir machen uns warm, Dehnungsübungen für gleich, fürs Körperschach.
»Ey, Dixi«, Bonobo haut mir auf die Schulter, ich verschütte wieder ein bisschen Bier. Bonobo kriegt nicht auf die Fresse.
So sind die Regeln auch. »Ey, Dixi«, Bonobo muss lachen und kann eh nicht mehr richtig geradeaus reden, »wir haben uns was überlegt für dich, therapeutischer Ansatz für dein Scheißproblem. Wie du deine Dixi-Träume wieder aus dem Kopf kriegst.« Bonobo heißt von Sonntag bis Freitag Christian Weber, leitet ein Möbelhaus mit fünfundzwanzig Angestellten. Und zweimal im Jahr organisiert er einen Free-Jazz-Abend in einer Musikkneipe, seine Freundin nennt ihn Rehlein. Er steht vor mir und findet sich witzig: »Ey, Dixi, den Typen, den wir nachher klatschen, den darfste in nem Dixi versenken.« Soll ich jetzt Danke sagen für so viel Anteilnahme? Ich stell mir Bonobo mit Brille vor und wie er Arbeitspläne macht und jungen Plattenbaupaaren Spanholzwohnzimmergarnituren verkauft. Vielleicht schon in zwei Wochen dem Bierverschütter eine Einbauküche für seine erste eigene Wohnung.
Anpfiff. Von hier kann man eh kaum was erkennen. Wir haben Anstoß, Renner verletzt, Gonzo gut drauf die letzten Spiele, ich wette eh nicht mehr, dann wird das Spiel zu wichtig und ich kann mich nicht aufs Wesentliche konzentrieren. Herr Kappelmann reibt sich nervös die Wochenendglatze, versucht, doch was zu erkennen auf dem Spielfeld und von der Seite sagt Bonobo leise in mein Ohr: »Ey, Röber, ich muss dir nachher mal was erzählen.« Ich warte einen Augenblick, ob das schon wieder ein Witz sein soll, aber Bonobo lacht nicht und dann fällt mir auf, dass er mich ja bei meinem richtigen Namen genannt hat. Ich guck ihn an und sag: »Halbzeit.« Und er nickt. Ich ahne, worum es geht. Seine Freundin, die er Bernstein nennt und über die er samstags lacht – dicker, brauner Klumpen mit Insekten drin – die nervt ihn ganz schön, seit sie zusammen wohnen, ungefähr seit Mitte Mai, seit dreieinhalb Monaten. Vorher fand er sie ziemlich gut. Jetzt wohnt er mit ihr, zwischen Möbeln, die er bisher an andere verkauft hat. Jetzt ist er angekommen, wo er eigentlich gar nicht hin wollte und haut deshalb samstags härter zu. Aber irgendwann will er dann immer reden. Immer samstags.
»Geht schon«, sag ich.
»Was geht schon?«, fragt Herr Kappelmann und dreht sich zu uns um. Das ist sein Spruch. Kappelmann grinst und haut dem alten Mann vor uns mit der Faust auf den Kopf. Einfach so. So sind die Regeln auch: Kappelmann darf das, Kappelmann ist ein Schrank und seine Glatze macht verdammt noch mal Eindruck. Der alte Mann traut sich nicht mal, sich umzudrehen, geht ohne ein Wort aus der Reihe und verschwindet. Ich denke Idiot und meine den alten Typen. Ich wollte wenigstens sein Gesicht sehen. Noch null zu null, die Penner aus Frankfurt haben Einwurf. Nicht viel passiert bisher und nur noch fünfzehn Minuten zu spielen in der ersten Hälfte.
In der Pause geht Kappelmann Bier holen, das ist meistens witzig und geht schnell, deshalb würd ich eigentlich gern mitkommen, aber ich muss hierbleiben bei Bonobo, weil der ja unbedingt mit mir reden will. Kappelmann schubst sich den Weg frei und grölt. Ab und zu grüßt ihn einer und Kappelmann grunzt zurück. Ich glaub nicht, dass ihn einer mag, mit ihm will nur keiner Streit, denn Herr Kappelmann ist samstags echt ein Tier. Dem ist samstags die ganze Welt egal. Geht schon. Der hat keine Angst, dass ihm einer das Jochbein bricht oder seine Zähne zerschlägt oder ein Messer in den Bauch steckt. Der ist voll und weg, Herr Kappelmann hat keine Hemmschwelle. Montag bis Freitag Rechtsanwalt, Fachgebiet Wirtschaftsrecht. Samstags Vollidiot, Tier und keine Angst, dass er irgendwann im Knast landet, weil er einen mal aus Versehen richtig kaputt macht. Vier Nasen hat er schon gebrochen in diesem Jahr. »Knack macht das«, sagt er und lacht. Findet er gut, find ich auch gut. Knack, witzig und absurd. So ne Type, dieser Herr Kappelmann, der redet nicht viel, der haut Nasen kaputt und alten Männern mit der Faust auf den Kopf.
Was Kappelmann sonntags macht, weiß ich nicht, obwohl ich ihn ja kenne, seit wir siebzehn sind. Bonobo auch, der jetzt tatsächlich von seiner Freundin redet. Ich hör gar nicht richtig zu, bis er seine Hand auf meine Schulter legt. Er hat allen Ernstes Tränen in den Augen. »Ey, Röber, Mann, dir kann ichs ja sagen: Ich hab richtig Schiss.« Wenn Bonobo so drauf ist, geht er mir richtig auf die Eier. Ich bin kein Briefkastenonkel, nur weil ich noch nicht mit den Zähnen knirsche. Mir kann ers ja sagen, was soll das heißen, bitte? Ich guck ihn an, keine Ahnung mit was für nem Blick.
»Anna ist schwanger«, ruft er in mein Ohr und ich sage:
»Häh?!«
Bonobo nickt.
»Echt«, brüllt er, es ist scheißlaut in der Kurve, »is so
weit.«
Wiederanpfiff, geht gleich richtig gut los. Gonzo mit dem öffnenden Pass, schnell geschaltet, geht zack, zack. »Bonobo«, sag ich, »wenns ein Junge wird, dann machen wir nen richtigen Primaten aus ihm. Dem vermach ich mein Cap. Und wenns ein Mädchen wird …« Ich zuck die Schultern, dreh mich um, ja, was, wenns ein Mädchen wird? Robbel vorbei an zwei und quer auf diesen jungen Franzosen, den sie da vor der Saison geholt haben, Büschohn oder wie der heißt, aber der macht sich Knoten in die Beine, der Froschfresser, und verliert den Ball. Konter für die Frankfurter. »Dann behalt ich mein Cap, auch kein Drama«, sag ich und Reinhart, der hatte echt mal gute Tage, aber inzwischen ist er einfach zu alt und wir haben aber trotzdem keinen besseren, steht viel zu weit vor dem Tor und so eine Frankenfotze zieht einfach ab und trifft. Wie der sich freut! Rennt Richtung Eckfahne und wirft sich mit der Brust auf den Boden, rutscht in die Kurve.
Wir pfeifen und brüllen was wir können und schubsen die Leute, ich tret den Vater von dem kleinen Jungen vor mir, der fällt eine Reihe nach vorn, in eine Gruppe Studenten, von denen hauts auch noch einen um, Domino-Day. Der Junge glotzt mich an, hat Schiss und ne Brille, kein Primat. »Guck weg, du Honk«, sage ich. Null eins hinten, Scheiße natürlich, aber immerhin Leben in der Bude. Plötzlich ist Kappelmann wieder da und schreit genau in mein Ohr: »Was spielt der Reinhart überhaupt, dem sollten sie den Gnadenschuss geben, dem Krüppel, welcher Idiot stellt den auf?« Jetzt fiept mein linkes Ohr und mein rechtes ist ein bisschen schwanger.
Trainer wechselt einen Amateur ein, den ich nicht kenne, nie gehört, aber der ist schwarz und wir haben Hoffnung, das sind ja manchmal echte Wunderneger, Rohdiamanten. Vielleicht haben wir ja auch mal Glück im Kolonialfußballlotto. Siebzigste Minute oder so, also fängt Kappelmann langsam an, sich einen rauszusuchen. Bonobo hat sich wieder gefangen oder tut so und hält uns die Pillen hin, wir nehmen sie und wissen, wie die uns gleich abschießen werden: »Gleich klatschen, Dixi.«
Und Kappelmann brüllt: »Oi, Oi, Oi«, wie ein Idiot, »Oi,
Oi, Oi.«
Er ist schon wieder in Schlachtruflaune. Das ist immer so ab der Siebzigsten. Ich hab die Regeln nicht gemacht. Kappelmann stupst zwei Reihen vor uns einen an, fast zärtlich, der hat schwarze kurze Haare, athletischer Typ, garantiert Russe. Fair Play, denke ich. Kappelmann guckt ihn lange an und der Russe ihn. Dann sagt Kappelmann: »Ey, deine Mutter kenn ich, die steht doch immer vorm Bahnhof und lässt sich für zehn Cent anpissen.«
Charmant, dieser Kappelmann. Der Russe dreht sich um, hat wohl keinen Bock, sich zu hauen. »Die bellt, wenns klingelt«, schreit Kappelmann, aber der Russe glotzt stur Richtung Spielfeld, dann schreit er was. Gibt nämlich Elfmeter für Frankfurt, ich hab nicht gesehen warum, aber Kappelmann nutzt die Unruhe und das Geschrei, um dem Russen eine an den Kopf zu geben, der geht ihm blitzschnell an die Gurgel und das macht Kappelmann an, das seh ich in seinen Augen, wie in ihm plötzlich alle zivilisatorischen Lichter ausgehen. Der ist schon richtig drauf, total nervös und viel zu schnell in seinen Bewegungen. Er schlägt ihm den Arm weg und schreit oder lacht, es ist ein merkwürdiges Geräusch und sein Kiefer ist ganz verkantet, am Hals ist jede Sehne, jede Ader ganz genau zu sehen.
»Ich mach dich kaputt, gleich nach dem Spiel mach ich dich kaputt«, grunzt Kappelmann eher zu sich als zum Russen, der sich einfach wieder umgedreht hat und paar Schritte rüber zum Zaun ist. Kappelmann kann sich grad noch halten, damit es keinen Ärger mit den Ordnern gibt. Eine Anzeige wär scheiße für den Anwalt. Zwei zu null für die bekloppten Frankfurter. Mir total egal.
Kappelmann nimmt sich mein Plastikbier und trinkt es aus, er zittert wie kurz vorm Abspritzen, der ist auf hundertachtzig und geil. Es ist Samstag. Neunzig Minuten rum, vier Minuten Nachspielzeit. Wir gehen schon zum Ausgang und warten auf den Russen. Im Losgehen tritt Kappelmann ihm über die Sitzreihen hinweg schon mal in den Rücken, schreit »Kinderficker« und zeigt ihm die Zähne. Der Russe guckt fies, plustert bisschen, aber mehr traut er sich nicht, das sieht man schon, dass er weiß, was gleich passiert, da leuchtet schon die Angst im Blick, das seh ich jeden Samstag, da hab ich ein Auge für. Hält sich aufrecht, der Russe, aber gleich wird er zerlegt.
Abpfiff, Randale, Gegröle, ich merke, wie ich zappelig werde, alles wie vorgespult, viel schneller, samstags nach Abpfiff, da heulen Frauen und Fans, tut alles weniger weh, fliegen Flaschen, treffen Fäuste, brechen Knochen. »Dixi«, schreit Bonobo und zieht mich zu sich, »da drüben isser.« Kappelmann hat ihn im Blick, jetzt folgen wir dem Russen. Scheiße, denk ich, der hat ja die Freundin dabei. Das ist schlecht. Wenn du auf Zerstören bist, im Kriegsmodus, stört nichts so wie eine Frau, die schreit und weint und Sorgen hat. Du bist so in dir, du denkst nichts, du suchst die Lücke und wenn du treffen kannst, dann triffst du, Faust auf den Schädel, zwei Schläge
die Sekunde, kinetische Meditation, sagt Kappelmann. Eine Frau ist die andere Welt, die kein Mensch will am Samstag. Später stehen wir vor dem Gebüsch und halten die Russenfreundin fest, damit sie sich nicht einmischt, damit Kappelmann sie nicht aus Versehen kaputt macht, wenn sie dazwischengeht. Die wär so eine, dünn und hysterisch, die würde dazwischenspringen und kratzen und beißen und mit ihren spitzen Nuttenschuhen zutreten. Und Kappelmann würde sie wegwischen wie eine Mücke, um nicht gestört zu werden. Sie versteht nicht, was wir tun, worum es geht. Gewalt, Ästhetik, Klarheit. Es ist einfach so, einen sucht man sich raus und der muss mitmachen, ich hab die Regeln nicht gemacht.
Die Kleine schreit, nur paar Meter vor uns schlägt Kappelmann auf den Russen ein, der Russe tritt und spuckt. Ein zäher Russe. Kappelmann blutet an der Lippe, er grinst mit roten Zähnen, aber er lacht nur und springt in den Russen rein, als wär er eine Abrissglocke, er hat ihn am Arsch, der Russe hat Panik, das les ich in seinen Bewegungen, der versucht nur, das Schlimmste zu verhindern. Kappelmann immer rauf, aber der Russe schreit nicht. Ein stummer Russe, nur das leise Klatschen oder ein Uff.
Kappelmann ist kein Ehrenmann, nicht mit Pille im Kopf, da hört er nicht auf, wenn einer liegt. Wir schieben die Russenfreundin durch die brüllenden Ultras hinter den Busch. Sehen kann man nichts mehr, aber weil wir gleich nebenanstehen, hören wir die Geräusche von Schlägen, von Tritten, die landen, die treffen, die verdammt noch mal wehtun. Ich kann verstehen, dass sie rumkreischt. Aber ich kann nicht verstehen, dass Bonobo guckt wie ein Cockerspaniel. Der geht mir heute echt auf die Nerven.
»Röber«, sagt er und ich hör ihn kaum, weil die Kleine wirklich durchdreht und tierisch laut ist und ich mich sowieso lieber auf den Sound der Schläge konzentriere. »Röber, Alter, ich glaub, ich bin verliebt.«
Ich kanns nicht fassen. Ein paar Meter weiter ist einer dabei zu gewinnen, ich hörs jetzt: Die dumpfen Schläge werden regelmäßiger. Jetzt geht es um Wunden. »Na prima«, sag ich, »passt doch. Haus bauen, Baum pflanzen, Familie gründen. Bonobo in love. Rehlein und Bernstein.« Er sieht mich an, er schüttelt den Kopf, die Natascha ruft um Hilfe.
»Nee, Röber, das isses ja. In ne andere! Kollegin, ne neue. Eine ganz Süße, erst neunzehn, ganz ne Liebe ist das, zart wie ne Knospe. Ich glaub, ich will das nicht mehr, mit … dem Bernstein, weißt du, Röber, das ist ein beschissenes Gefühl. Aber ich kann das nicht: Vater sein, alt werden mit dieser Frau. Ich wollte mich verlieben, das war vorsätzlich. Wollte wer Neues sein! Verstehste? Einfach alles anders sagen und machen und sie glaubts dir, kennt dich ja nicht, muss sie ja.« »Alter, Bonobo, was laberst du?« »Scheiße, Röber, ich dachte, du verstehst mich. Du bist doch auch so. So … frei.«
Die Russin beißt Bonobo in die Hand. Der schreit und lässt sie los und hält sich die Hand wie ein Mädchen. Die Tatjana reißt sich auch von mir los und gräbt sich durch das Gebüsch. Und genau in diesem Augenblick kommt Kappelmann mit Blut an der Faust und im Gesicht außen um das Gebüsch rum auf uns zugelaufen. Er hält die Linke hoch, alle fünf Finger gespreizt. Fünfte Nase, gewonnen. Keine Ahnung, obs sein Blut ist oder Russenblut in seinem Gesicht. Er lacht. »Und?«, sag ich. Und Kappelmann sagt: »Geht schon. Fertig. Was läuft der auch mit nem roten Pulli in unserm Block rum.« Ich hör das Gewimmer der Kleinen. Bonobo grölt: »Ey, los, Dixi, Alter, jetzt versenkst du den beschissenen Frankfurter noch im Dixi.«
Und er krümmt sich schon wieder vor Lachen. Ist aber ge- stellt, das merk ich sogar mit den ganzen Drogen im Kopf. »Oi, Oi, Oi.« Jetzt auch noch Kappelmann, der mich in den Arm nimmt und mich vollschmiert. Kappelmann in seinem braunen Armani-Anzug mit dem ganzen Blut, frisches und altes und sehr altes aus mindestens zwei Jahren, so lange hat er den Anzug jeden Samstag an. Scheißegal. Stört mich nicht, macht mir nichts. Wer die ganze Woche auf Dixis kacken muss, den ekelt nichts mehr.
»Ey, Kappelmann, was machst du eigentlich sonntags?«, frage ich. Er bleibt stehen wie angewurzelt und guckt. Guckt so starr und fest in mein Gesicht, als wär ich ein bekloppter Frankfurter. »Dixi, Alter«, sagt er, »morgen, da entführen wir den Reinhart und erschießen ihn. Notschlachtung. Geht nicht an, dass die verschissenen Frankfurter hier gewinnen.«
Bonobo tritt mir leicht in den Arsch und Kappelmann haut mir auf die Schulter. »Los jetzt!«, kreischt Bonobo, »versenkst den jetzt. Konfrontationstherapie!« Sie schubsen mich durch den Busch und zu dem Russenpärchen. Sie hockt neben ihm und hält seinen blutenden Kopf. Zwei Minuten nicht gepolsterte Fäuste hinterlassen hässliche Spuren. »Dixi, Dixi!«, johlen die zwei. Sie lachen wie blöde, der Russe stöhnt, die Svetlana weint in ein Handy. Ich denke an Catchen und Free Fight, an den Finishing Move, aber eigentlich will ich einen Gegner und kein Opfer. Ich dreh mich um zu Bonobo und sage leise: »Geht schon.«
Dann springe ich ab und liege in der Luft.
—
Finn-Ole Heinrich, geboren 1982 in Cuxhaven, Filmstudium in Hannover, dann Stadtschreiber in Erfurt. Lebt jetzt in Hamburg. 2005 erschien sein Erzählband »die taschen voll wasser«, 2007 der Roman »Räuberhände«.
»Samstags« ist enthalten in dem Erzählband »Gestern war auch schon ein Tag« (Mairisch Verlag).
Verlag: Mairisch
Autor: Finn-Ole Heinrich
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